Wichtiges Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Psychiater/Innen stehen mit einem Bein im Gefängnis!
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte im Sommer 2018 die Rechte von Betroffenen gegen Fixierungen gestärkt. Mit der gestern bekannt gemachten, wichtigen Entscheidung macht es klar: Wir meinen das ernst. Und in der Begründung hat es neue Maßstäbe gesetzt:
a) Ob ein Eingriff in die persönliche (körperliche) Freiheit vorliegt, hängt dabei allein vom tatsächlichen, natürlichen Willen des Betroffenen ab. Fehlende Einsichtsfähigkeit lässt den Schutz des Art. 2 Abs. 2 GG nicht entfallen; die Freiheit ist auch dem psychisch Kranken und nicht voll Geschäftsfähigen garantiert. Damit beginnt das BVerfG eine Revision seines Urteils von 2011, in dem es Nicht-Einwilligungsfähigkeit als einzige Rechtfertigungsmöglichkeit für eine gesetzlich geregelte psychiatrische Zwangsbehandlung behauptet hatte – fälschlicherweise, wie hier bewiesen wird. Diesen Beweis scheint das Gericht nun zur Kenntnis genommen zu haben.
b) Ärzte und medizinisches Personal machen sich ab jetzt ganz leicht strafrechtlich schuldig – insbesondere der Körperverletzung bei einer Zwangsbehandlung – wenn sie ohne rechtswirksamen Beschluss (also endgültigen Beschluss) eines Gerichts Zwangsmaßnahmen ergreifen, die sich später als Unrecht erweisen. Das ist z.B. der Fall, wenn das Gericht ohne ein nachvollziehbares psychiatrisches Gutachten den Zwangsmaßnahmen zugestimmt haben sollte.
Deshalb ganz wichtig: eine PatVerfü zu haben, mit der man von vornherein jede psychiatrische Begutachtung rechtswirksam untersagt (§1901a BGB) und konsequent schweigen, wenn ein Psychiater mit einem zu sprechen versucht, sondern nur stereotyp auf die PatVerfü hinweisen. Dann darf kein psychiatrisches Gutachten entstehen.
c) In Zukunft in jeder entsprechenden Strafanzeige (Muster siehe hier) auf diese Entscheidung des BVerfG 2 BvR 1763/16 hinweisen, so dass die Staatsanwaltschaft informiert ist, dass die Ermittlungen gründlich zu führen und zur Anklage zu bringen sind, weil höchstrichterlich entschieden wurde, das in solchen Fällen ein öffentliches Verfolgungsinteresse mit dem Recht auf effektive Strafverfolgung besteht.
Die Pressemitteilung des BVerfG hier.
Die Tagesschau berichtete hier.
Durch eine Strafanzeige können kostenlos, ohne einen eigenen Anwalt, Ermittlungen durch den Staatsanwalt ausgelöst werden. Wenn das Strafverfahren Erfolg gehabt hatte, kann danach erfolgversprechend ein Zivilverfahren auf Schmerzensgeld geführt werden, und dafür wird dann der Anwalt von der Gegenseite bezahlt.
Letztes Jahr konnte auch für einen 2014 zurückliegenden Fall ein Schmerzensgeld von 12.000,- € erzielt werden, siehe das Urteil hier.
Bericht in der Frankfurter Allgemeine Zeitung hier.
Bericht im Ärzteblatt hier.
PS: in der Recht & Psychiatrie 2/2020 wird auf Seite 93 das Urteil ausgiebig zitiert und kommentiert, Zitat daraus:
…Die Auswirkungen der Entscheidung gehen weit über eine bloße Klarstellung der Rechtslage hinaus. Das Verdikt des BVerfG trifft nicht nur die beteiligten Behörden und Gerichte, sondern beinhaltet zugleich eine heikle Botschaft an die Psychiatrie.
Der Beschluss verschärft nämlich für die Praxis die mit dem »Fixierungs-Urteil« verbundenen Probleme.
Während die psychiatrischen Kliniken noch mit fehlenden personellen und sachlichen Ressourcen kämpfen, um den verfahrensrechtlichen Anforderungen bei (nicht nur kurzfristigen) Fixierungenmöglichst zu genügen, schwebt über den involvierten Ärzten und Pflegern jetzt auch noch das Damoklesschwert einer möglichen Strafbarkeit ihres Tuns….