1. Lesung eines Scheinreförmchens des § 63 StGB

Medial völlig unbemerkt hier das Protokoll Seite 15026 über das, was sich am 28.1.2016 im Plenum des Bundestages abgespielt hat:


Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften Drucksache 18/7244
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f), Innenausschuss, Ausschuss für Gesundheit
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.
– Ich sehe, dass Sie alle damit einverstanden sind.
1) Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/7244 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge?
– Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.


Im folgenden die ungehaltenen für den Buchstabenkeller des Bundestages bestimmten Redebeiträge.
Nirgends ist auch nur ein Wörtchen zur Behindertenrechtskonvention zu finden, sondern nur betuliches Gerede zu einer kosmetischen Novelle des § 63.


Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften (Tagesordnungspunkt 17)

Reinhard Grindel (CDU/CSU):
Der vorliegende Gesetzentwurf ist keine „Lex Mollath“. Für das Parlament verbietet es sich geradezu, allein aus Gründen eines Einzelfalls gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen. Die Koalition reagiert mit dieser Reform des Maßregelvollzugs vielmehr auf eine Vielzahl von berechtigten Mahnungen aus der Rechtswissenschaft und dem Gesundheitswesen.

Es trifft zu: Immer mehr Menschen werden immer länger gemäß § 63 des Strafgesetzbuchs in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Das sind jetzt keine Massenphänomene, aber der Anstieg von rund 4 000 Personen im Jahr 2000 auf heute gut 6 500 Personen ist doch eine beachtliche Steigerung.

Deshalb ist der Gesetzgeber jetzt wirklich veranlasst, darüber zu entscheiden, in welcher Weise wir dem  Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Abwägung zwischen der Schutzpflicht des Staates gegenüber der Allgemeinheit, also potenziellen Opfern, und den Freiheitsrechten der Täter noch stärker als bisher Geltung verschaffen können. Das ist im Kern das Ziel des Gesetzentwurfs.

Dabei können wir aufbauen auf den sehr konstruktiven Vorschlägen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, die im März 2014 gebildet wurde.

Die Ziele des Gesetzentwurfs sind die stärkere Beschränkung der Anordnung der Unterbringung auf gravierende Fälle, die zeitliche Begrenzung der Unterbringung bei weniger schwer wiegenden Gefahren und der Ausbau der prozessualen Sicherungen, um unverhältnismäßig lange Unterbringungen zu vermeiden. Die Schwelle der Erheblichkeit wird  heraufgesetzt, indem es sich bei den künftig zu erwartenden Taten um solche handeln muss, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Allerdings verbieten sich hier schematische Lösungen nach dem Motto: Alles, was unter einer Höchststrafe von fünf Jahren liegt, ist nicht erheblich. Auch etwa die permanente Bedrohung, man werde jemanden umbringen, kann zu solchen seelischen Belastungen für das Opfer führen, dass es sich um eine erhebliche Tat handelt. Die Gerichte haben nach wie vor auf die besonderen Umstände des Einzelfalls abzustellen. Der Gesetzentwurf bietet insofern eine Reihe von Leitplanken, anhand derer sich die Gerichte bei der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes orientieren können.

Was die Anordnungsvoraussetzungen angeht, sollen zunächst die Voraussetzungen angehoben werden, wenn es nur um die Vermeidung wirtschaftlicher Schäden geht.

Der permanente Ladendiebstahl scheint dabei nicht in Betracht zu kommen, wohl aber die fortgesetzte Beschädigung von Kunstgegenständen, wie wir sie von den sogenannten Säureattentätern kennen.
Nicht erforderlich ist hingegen, dass Straftaten zu erwarten sind, durch die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Das ist erst für die Fortdauer eines Maßregelvollzugs nach sechs Jahren erforderlich oder einer Unterbringung, die der der Sicherungsverwahrung nach zehn Jahren entspricht.

Neu ist die Einführung einer Darlegungspflicht, die verlangt wird, wenn aus nichterheblichen Anlasstaten auf die Gefahr künftiger erheblicher Gefahren für die Allgemeinheit geschlossen wird. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass besondere Umstände vorliegen müssen, die trotz einer nichterheblichen Anlasstat auf eine positive Gefährlichkeitsprognose schließen lassen. Die Feststellung dieser besonderen Umstände zwingt das anordnende Gericht auch in dieser Hinsicht zu einer besonderen Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Es wird im Ergebnis darauf ankommen, zu prüfen, ob es besondere Anhaltspunkte in der Person des Täters oder den Tatumständen gibt, dass er bei nächster Gelegenheit etwa ein deutlich höheres Maß an Gewaltanwendung an den Tag legen würde.

In prozessualer Hinsicht geht es darum, dass mit dem Gesetzentwurf die Anforderungen an die jährlichen Gutachten konkretisiert werden. Wir wollen auch dem Vorwurf der Fließband- oder Gefälligkeitsgutachten entgegenwirken. So wird die zeitliche Frequenz deutlich erhöht, in der externe Gutachter eingeschaltet werden müssen, und auch bei diesen externen Gutachtern soll es öfter als bisher zu einem personellen Wechsel kommen.
Im ersten Durchgang im Bundesrat hat der Justizminister des Landes Bayern, der sich bei diesem Thema in besonderer Weise auch schon bei unseren Koalitionsverhandlungen engagiert hat, für eine Beteiligung der Öffentlichkeit bei den mündlichen Anhörungen des Untergebrachten geworben. Dadurch solle bei diesem Thema vor allem für mehr Transparenz gesorgt werden, um dem Eindruck entgegenzuwirken, hinter den hohen Mauern der psychiatrischen Krankenhäuser seien die Menschen hilflos den Gutachtern und Richtern ausgesetzt.

Ich bin dafür, dass wir über den übrigens aus meiner Sicht bisher einzigen gravierenden Kritikpunkt am Gesetzentwurf in der öffentlichen Anhörung intensiv diskutieren, weil ich mir schon vorstellen kann, dass es auch zum Schutz der  Persönlichkeitsrechte der Untergebrachten und möglicherweise auch potenzieller Opfer Argumente geben mag, die gegen eine solche Öffnung der Anhörungen sprechen.

Alexander Hoffmann (CDU/CSU):
Wir als Gesetzgeber haben, wenn wir heute erstmals über die Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus debattieren, die folgenden beiden Aspekte zu beachten: den Schutz der Öffentlichkeit vor möglichen Gefahren, die von einzelnen untergebrachten Personen ausgehen könnten, aber auch den Schutz des einzelnen Untergebrachten vor eventuellen Fehleinschätzungen durch Behörden und Gerichte.

Die anstehende Gesetzesänderung stärkt die therapeutischen Erfolgsmöglichkeiten und ermöglicht einen zielgenaueren und effizienteren Einsatz der begrenzten Ressourcen im Bereich der Entziehungseinrichtungen.
Ziel der Änderungen der §§ 63 ff. StGB ist es, die steigenden Zahlen der in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entzugsklinik untergebrachten Personen zu senken und die Voraussetzungen einer Unterbringung und ihrer Dauer zu  regulieren.

Der kontinuierliche Anstieg und die wachsende Dauer der untergebrachten Personen haben den Anlass geboten, eine Gesetzesänderung herbeizuführen: Im Jahr 2000 waren 4 089 Personen in solchen Einrichtungen untergebracht; diese Zahl ist bis zum Jahr 2013 um mehr als 50 Prozent auf 6 652 Personen angestiegen. Auch die durchschnittliche Unterbringungsdauer hat sich von 6,2 Jahren in 2008 auf acht Jahre in 2012 erhöht.
Für die Unterbringung in einer Entziehungsklinik ist eine hinreichend konkrete Aussicht auf Erfolg erforderlich. Es ist daher von Bedeutung, dass der Betroffene durch die Behandlung geheilt wird oder über einen erheblichen Zeitraum von  Rückfällen abgehalten wird. Für diese Anordnung ist daher eine präzise Prognose erforderlich, wie lange eine solche Unterbringung erforderlich ist.

Durch das Anfügen der Frist aus § 67 d I 1 und 3 StGB wird der Therapie eine zeitliche Grenze von zwei Jahren gesetzt, soweit keine Freiheitsstrafe verhängt wurde, da sich der Täter durch seine Sucht in einem schuldunfähigen Zustand befand. Dies hat den Zweck, den Streit in der Rechtsprechung über die Dauer solcher Maßnahmen zu beenden. Diese Höchstdauer ist meiner Meinung nach vernünftig, da eine sinnvolle Prognose über die Dauer von drei Jahren nicht wirklich möglich ist.

Wurde eine freiheitsentziehende Maßnahme verhängt, kann die Therapiedauer auch auf diese Zeit verlängert werden. Dies ist besonders bei Straftätern, die über die Suchtmittelabhängigkeiten hinaus an weiteren psychischen Erkrankungen leiden, erforderlich, da in diesen Fällen eine Entwöhnung durchaus länger dauern kann. Die Behandlungsdauer soll dadurch nicht verlängert werden; diese Verlängerung gilt nur für besonders schwierige Fälle.

Durch die Erweiterung des § 67 StGB um einen Absatz 6 soll eine wichtige Entscheidung des BGH umgesetzt werden, wonach die Zeit des Maßregelvollzugs in Härtefällen auf eine verfahrensfremde Freiheitsstrafe anzurechnen ist. Durch diese Änderung wird bei einer Gesamtstrafe der Maßregelvollzug berücksichtigt.
Wie wir wissen, verfolgen Freiheitstrafen und freiheitsentziehende Maßnahmen unterschiedliche Zwecke, weswegen sie grundsätzlich auch nebeneinander angeordnet werden können. Geschieht dies, ist jedoch geboten, sie einander so  zuzuordnen, dass die Zwecke beider Maßnahmen möglichst weitgehend erreicht werden, ohne dabei in das  Freiheitsgrundrecht aus Artikel 2 II 2 GG mehr als notwendig einzugreifen. Diese genannten Vorgaben sind nicht schematisch zu sehen, sondern dienen nur als Kriterien für die Abwägung im Einzelfall. Im Vordergrund muss immer die Verhältnismäßigkeit zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten und dem Maßregelvollzug stehen. Dies setzt eine schonende Anwendung der staatlichen Gewalt gegenüber dem Bürger und nur eine Anwendung bei einer wirklichen Dringlichkeit voraus. Der Vollzug der anderen Freiheitsstrafe muss zu einer unbilligen Härte für den Untergebrachten führen. Ein wesentliches Kriterium dafür sind vor allem der erzielte Therapieerfolg und eine anschließende Gefährdung durch eine Vollstreckung der Freiheitsstrafe.

Diese Kriterien sind für jeden Fall einzeln abzuwägen und unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beleuchten. Dabei spielt auch und vor allem das Verhalten des Untergebrachten während der Therapie eine erhebliche Rolle. Im vorgelegten Gesetzentwurf gibt es auch ein Regelbeispiel, bei welchem es nicht zu einer Anrechnung der Zeit in der Einrichtung auf die Freiheitsstrafe kommen soll. Dies soll die präventive Wirkung der Strafandrohung untermauern.

§ 67 d VI StGB setzt für die Dauer der Entziehungsmaßnahme eine Höchstfrist von sechs Jahren voraus, welche nur unter besonderen Umständen verlängert werden kann. Durch diese Regelung soll auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in den Fortdauerentscheidungen gewahrt werden. Eine längere Unterbringung ist daher nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass durch den Untergebrachten Taten begangen werden, durch die dem Opfer schwere seelische oder körperliche Schädigungen zugefügt werden. Nach zehn Jahren gilt Absatz 3 entsprechend. Diese Vorschrift gilt für § 63 und § 64 StGB gleichermaßen. Diese erhebliche Beeinträchtigung, die gefordert wird, setzt den Rahmen für die Angemessenheit der Fortdauer erheblich höher, um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf das  Freiheitsgrundrecht aus Artikel 2 II 2 GG zu wahren.

Ob solche erheblichen Straftaten drohen, hat das Gericht nach der Neufassung in einer umfassenden Einzelfallprüfung und unter Berücksichtigung aller Umstände zu bewerten. Je länger die Unterbringung andauert, desto eingehender hat das zuständige Gericht die einzelnen Umstände zu prüfen und zu würdigen.
In § 67 d VI 2 und 3 StGB werden die Verhältnismäßigkeitsgrundsätze speziell für die Unterbringung in einer  psychiatrischen Einrichtung dargelegt. Da eine Unterbringung in einer solchen Einrichtung auch „lebenslänglich“ erfolgen kann, sind an die Verhältnismäßigkeit große Anforderungen zu stellen. Dabei sind auch wieder die konkret zu erwartenden Straftaten zu beachten und in die Abwägung einzubeziehen. Die Voraussetzungen an die Verhältnismäßigkeit sind umso strenger, je länger der Untergebrachte in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht wurde. Die Fortsetzung der Unterbringung wird nach sechs und nach zehn Jahren an erhöhte Voraussetzungen geknüpft.
Wir haben hier einen umfangreichen Entwurf vorliegen, der die von mir eingangs genannten beiden Aspekte „Schutz der Öffentlichkeit“ und „Schutz der einzelnen untergebrachten Person“ ausreichend würdigt.
Ich freue mich auf die weiteren Beratungen und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

Dirk Wiese (SPD):
Über die letzten Jahre ist eine stetig steigende Anzahl von Unterbringungen in psychiatrischen Krankenhäusern gemäß § 63 des Strafgesetzbuches zu verzeichnen. Auch die Unterbringungsdauer selbst ist deutlich gestiegen.
Dem entgegen steht die Tatsache, dass es keine konkreten Belege für einen parallelen Anstieg der Gefährlichkeit der Untergebrachten gibt. Darüber hinaus wurden durch die Medien Fälle bekannt, die auf Missstände bei der Einweisung und vor allem bei der stetigen Begutachtung der Eingewiesenen hinweisen. Dies alles gab Anlass für den heute hier vorliegenden Gesetzentwurf, der dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Unterbringung nach § 63 StGB eine wesentlich stärkere Bedeutung verleihen wird.

Unverhältnismäßige, insbesondere unverhältnismäßig lange Unterbringungen werden hiermit künftig besser vermieden werden können. Hervorheben möchte ich wie meine Vorredner, dass der Gesetzentwurf auf dem Ergebnis einer  Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus basiert. Diese wurde in Umsetzung einer Vorgabe des Koalitionsvertrags und einer entsprechenden Bitte der Konferenz der  Justizministerinnen und Justizminister vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eingesetzt und geleitet.

Die mit Vertretern der Landesjustizverwaltungen, der AG Psychiatrie der Länder sowie des Bundesministeriums für Gesundheit besetzte Arbeitsgruppe nahm am 14. März 2014 ihre Arbeit auf. In insgesamt fünf Sitzungen wurde ein Diskussionsentwurf erarbeitet, auf demder vorliegende Gesetzentwurf basiert. Ich denke, dass dies ein hervorragendes Beispiel für die gute Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ist.

Der Kollege Christian Lange hat die wichtigsten Punkte des Entwurfs bereits dargestellt; ich verzichte daher auf Wiederholungen. Lassen Sie mich aber kurz klarstellen, dass wir uns natürlich der Verantwortung gegenüber der
Bevölkerung bewusst sind. Die Vermeidung von unverhältnismäßig langen Unterbringungen hat nicht zwangsweise eine Senkung des Schutzes der Allgemeinheit vor Straftätern zur Folge. Gewalt- oder Sexualstraftäter, bei denen die Gefahr besteht, dass sie aufgrund ihres Zustandes auch zukünftig erhebliche Straftaten begehen, durch welche die potenziellen Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, können zum Schutz der Allgemeinheit weiterhin unbefristet untergebracht werden.

Es geht vielmehr darum, Fälle zu vermeiden, die wir auch aus den Medien kennen, also Fälle, in denen Menschen zu wenig rechtliches Gehör geschenkt wird und diese sich womöglich in Unterbringung befinden, obwohl kein Grund mehr dazu  besteht.

Hier bin ich auch schon beim nächsten Thema: Ich möchte mich bei den verschiedenen Verbänden für die bereits jetzt erfolgte Zusendung der Stellungnahmen zum Thema bedanken. Es sei Ihnen versichert, dass wir uns dem Thema mit der gebotenen Sorgfalt annehmen werden und selbstverständlich auch Ihre Stellungnahmen in die Arbeit mit einfließen lassen werden.

Um zwei Punkte zu nennen, wo ich schon jetzt denke, dass wir sie uns genauer anschauen sollten:
Erstens die Bestellung von Pflichtverteidigern. Dieser Punkt ist mir auch bei diversen Veranstaltungen zum Thema sowohl von ärztlicher als auch von juristischer Seite genannt worden.

Zweitens denke ich, dass es auch sinnvoll sein wird, sich das Zusammenspiel von § 63 und § 64 StGB bei der Anrechenbarkeit von Freiheitsstrafen genau anzuschauen, um zu verhindern, dass Straftäter hier durch Taktieren und beispielsweise vorsätzlichen Verbleib im Maßregelvollzug Vorteile bei der Haftanrechnung erlangen. Ich freue mich jedenfalls auf die bevorstehende Sachverständigenanhörung und die Beratungen im Rechtsausschuss.

Halina Wawzyniak (DIE LINKE):
Wenn wir heute in der ersten Lesung über ein Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem  psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB reden, will ich zunächst grundsätzlich werden. Auch das muss manchmal sein. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus trifft Personen, die eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit begangen haben. Eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kommt in Betracht, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge dieses Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Es handelt sich also um eine Prognoseentscheidung.

Diese ist – wir haben das bei der Sicherungsverwahrung immer wieder diskutiert – immer problematisch, wenn sie am Ende zu einer Freiheitsentziehung führt. Wir Linken haben die Sicherungsverwahrung abgelehnt, und ich verhehle nicht, dass mir Initiativen für die Abschaffung des § 63 StGB durchaus sympathisch sind. [Hört, hört]

Dennoch kann ich mich diesen Initiativen nicht ganz anschließen. [Also doch nur Enttäuschung über die falschen Versprechungen des Wahlprogramms der Partei DIE LINKE 🙁 ]

Das Problem liegt in der sogenannten Zweispurigkeit im Strafsystem. Im Unterschied zur Sicherungsverwahrung, die  zusätzlich zu einer Freiheitsstrafe verhängt wird, geht es bei der Unterbringung nach § 63 StGB aber eben gerade um Menschen, die nicht oder nur bedingt unter das Strafrecht fallen. Das ist der zentrale Unterschied zum Recht der  Sicherungsverwahrung, welche nach der Verbüßung einer Freiheitsstrafe verhängt wird.

Wichtig finden wir aber vor diesem Hintergrund – und das ist meine erste Kritik am vorliegenden Gesetzentwurf –, dass die Unterbringung nach § 63 StGB auf diejenigen Personen beschränkt wird, die schuldunfähig sind. Denn hier handelt es sich um Menschen, die, wenn sie eine Straftat in einem Zustand der Schuldfähigkeit begangen hätten, mit Freiheitsentzug bestraft werden würden. Wir schlagen also konkret vor, die Menschen, die bedingt schuldfähig sind, aus dem  Anwendungsbereich des § 63 StGB herauszunehmen. Dies würde auch wesentliche Folgeprobleme bei den Regelungen zur Reihenfolge der Vollstreckung (§ 67 StGB) verhindern.

Nun verlangt der § 62 StGB, dass Maßregeln der Besserung und Sicherung nur angeordnet werden dürfen, „wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten“ sowie zum Grad der vom Täter ausgehenden Gefahr außer Verhältnis stehen. Und hier komme ich zur zweiten Kritik am Gesetzentwurf: Wir glauben, dass diesem Grundsatz mit dem Gesetzentwurf nicht ganz Rechnung getragen wird. Aus ganz grundsätzlichen Erwägungen finden wir es falsch, in den Anwendungsbereich des § 63 StGB auch Taten aufzunehmen, die schwere wirtschaftliche Schäden anrichten. Am Ende ist eben auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine Freiheitsentziehung, und diese ist aus unserer Sicht unverhältnismäßig, wenn es um wirtschaftliche Schäden geht, erst recht, wenn es um die Prognose für zukünftige Straftaten geht.
Darüber hinaus sind wir wegen des Verhältnismäßigkeitsprinzips für eine Höchstgrenze der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

Nun sehen auch wir aber auch, dass der Gesetzentwurf nicht unwesentliche Verbesserungen im Bereich des Rechtes der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus enthält. Jenseits der grundsätzlichen Kritik sehen wir durchaus das Bemühen, Verbesserungen vorzunehmen, vor allem im Hinblick auf die Vorschläge in der Strafprozessordnung zur  Begutachtung durch ärztliche oder psychologische Sachverständige. Diese finden wir tatsächlich unterstützenswert.

Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich bin froh, dass wir endlich über eine Reform der Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern nach § 63 StGB diskutieren; denn der Änderungsbedarf ist groß und eine Reform schon lange überfällig. Das Schicksal von Gustl Mollath oder von Ilona Haslbauer hat bundesweit für Aufsehen gesorgt. Sie haben deutlich gemacht, dass es strukturelle Defizite im Maßregelvollzug gibt, die zu unverhältnismäßigen Eingriffen in die Freiheitsrechte Einzelner führen. Dazu gehören nicht  nur eine fälschliche Einstufung als psychisch krank und gefährlich, sondern auch, dass vermindert Schuldfähige oft sehr lange und ohne zeitliche Begrenzung festgehalten werden.
Die Zahl der Menschen, die auf Grundlage des § 63 StGB in psychiatrischen Krankenhäusern untergebracht werden, hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Oft sind sie jahrelang eingesperrt und mit Medikamenten „versorgt“, ohne dass ein dementsprechendes Anlassverhalten dies rechtfertigen könnte. Häufig wird ihnen auf entwürdigende Weise viel länger die Freiheit entzogen, als dies bei einer strafrechtlichen Verurteilung wegen derselben Tat der Fall gewesen wäre. Eine Maßregel aber darf für den betroffenen Menschen nicht grundrechtsverletzender sein als eine Kriminalstrafe.

Der vorliegende Gesetzentwurf versucht diese Unverhältnismäßigkeit etwas zu korrigieren. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Leider ist dieser Schritt aber viel zu kleinteilig. Das sehen auch viele Fachverbände und Juristen so, die befürchten, dass die vorgeschlagenen Änderungen sich kaum auf die Praxis auswirken werden.
Die Bundesregierung ist gefragt, ein Gesamtkonzept zum Umgang mit vermindert schuldfähigen oder in Krisensituationen gewaltbereiten Patientinnen und Patienten vorzulegen, in dessen Mittelpunkt die individuelle Unterstützung und Versorgung besonders schwer psychisch kranker Menschen stehen. Der beste Schutz der Allgemeinheit besteht aus frühzeitiger Hilfe, Therapie und Krisenintervention, denn jede psychische Erkrankung, jede Suchterkrankung und jede psychische Auffälligkeit hat eine Vorgeschichte. Dazu gehören stationsersetzende Behandlungsmöglichkeiten, eine flexible und wohnortnahe Versorgung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung, ausreichend ambulante Krisenintervention und -begleitung sowie die Einbeziehung von Psychotherapie und psychosozialer Unterstützung vor Ort. Insgesamt müssen die  Angebotsformen sich verstärkt am individuellen Bedarf der Erkrankten und ihrer Angehörigen orientieren. Nach einer forensischen Behandlung braucht es eine gute und intensive in die Gemeindepsychiatrie eingebettete Nachsorge.

Im Vergleich zur Allgemeinpsychiatrie hat der Maßregelvollzug in den letzten Jahren viel weniger von patientenorientierten  Reformen profitiert. Daher ist es dringend notwendig, dass wir in diesem Gesetzgebungsverfahren auch über eine Öffnung des § 63 StGB für ambulante Behandlungen und damit die Beachtung des – auch vom Bundesverfassungsgericht betonten – Ultima-Ratio-Gebots bezüglich der Unterbringung diskutieren. Es muss möglich sein, dass in jedem Fall weniger  einschneidende, nicht freiheitsentziehende Maßnahmen geprüft werden und, wenn nötig, angeordnet werden. Dafür müssen natürlich auch geeignete ambulante Therapieangebote ausgebaut werden. In dem Eckpunktepapier aus dem BMJ aus dem Jahr 2013 heißt es noch: „erforderlich ist ggf. eine Stärkung der ambulanten Versorgung vor Ort, da eine Unterbringung immer nur das letzte Mittel sein darf.“ Warum dieser Punkt in dem vorliegenden Entwurf völlig ausgeklammert wird, ist unverständlich. Nur so kann wirklich eine ausgewogene Gewichtung zwischen dem Freiheitsentzug des Einzelnen einerseits und dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft andererseits geschaffen werden. Es ist jedenfalls wenig hilfreich,  wenn die gesetzlichen Änderungen sich darauf beschränken, dass Betroffene zwar ein paar Jahre früher aus der  Unterbringung entlassen werden, sie aber mangels ambulanter Therapieangebote und Unterstützung im Alltag nach kurzer Zeit in eine geschlossene Abteilung der Allgemeinpsychiatrie eingewiesen werden.

Wir sehen auch großen Änderungsbedarf hinsichtlich des gesamten Gutachterwesens – dieses muss grundlegend auf den Prüfstand.

Der Gesetzentwurf sieht erhöhte Anforderungen an (externe) Sachverständigengutachten bei der Überprüfung der Unterbringung nach § 67 e StGB vor, die aus unserer Sicht jedoch nicht ausreichend sind. Insbesondere ist fraglich, ob  nichtapprobierte Rechtspsychologen für die notwendige Begutachtung ausreichend Fachkenntnis haben. Die Bundespsychotherapeutenkammer schlägt insofern vor, als Sachverständige nur Psychologische Psychotherapeuten oder Fachärzte für Psychiatrie bzw. Psychosomatische Medizin zuzulassen, die zusätzlich über ausreichend Erfahrung in der forensischen Psychiatrie sowie entsprechende Fachkenntnisse in der Gutachtenerstellung verfügen.

Die vorgeschlagene Regelung zur externen Begutachtung sollte aber aus weiteren Gründen nochmals hinterfragt werden. Insbesondere dahin gehend, ob wir hier mit wenig den Einzelfall berücksichtigenden Regelungen hinsichtlich  Begutachtungsintervallen sowie der zu benennenden Gutachter tatsächlich unverhältnismäßiger Unterbringung  entgegenwirken können. Möglich wäre auch, eine flexible Lösung im Gesetz vorzusehen.
Diskussionswürdig ist zum Beispiel der Vorschlag, Verfahrensbeteiligten die Möglichkeiten einzuräumen, beim Vollstreckungsgericht anlass- und anliegenbezogen die Einleitung eines externen Gutachtens anzuregen.
Die Bundesregierung adressiert wichtige Punkte – bleibt aber halbherzig, wenn es konkret wird. Sie benennt engere Anordnungsvoraussetzungen, um die Schwelle zur Unterbringung zu erhöhen. Dabei geht sie jedoch nicht weit genug. Die neuen Voraussetzungen berücksichtigen längst nicht ausreichend den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Taten mit nur  wirtschaftlichem Schaden sollten keine unbefristete Unterbringung rechtfertigen. Nicht verhältnismäßig ist, dass bei  Vorliegen von „besonderen Umständen“ auch leichtere Ausgangstaten für eine Unterbringung ausreichen sollen.

Ich erwarte, dass die Koalitionsfraktionen die vielseitige Kritik ernst nehmen und den Gesetzentwurf nachbessern, um eine verhältnismäßige Gewichtung zwischen dem Freiheitsentzug des Einzelnen einerseits und dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft andererseits zu schaffen.

Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz:
Die geplante Novellierung des Rechts der Unterbringung gemäß § 63 des Strafgesetzbuches soll besser als bislang unverhältnismäßige  Unterbringungen vermeiden helfen. Denn die Statistiken zeigen uns, dass in den letzten Jahren die Zahl der  Untergebrachten und vor allem die Dauer ihrer Unterbringung immer weiter gestiegen sind, ohne dass es zugleich Belege für einen entsprechenden Anstieg der Gefährlichkeit der Untergebrachten gibt. Zugleich wollen wir mit dem Entwurf auch das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Richtigkeit justizieller Entscheidungen stärken, das nicht zuletzt durch den Fall  Mollath in jüngerer Zeit gelitten hat.

Lassen Sie mich kurz anhand von drei Punkten auf unseren Regierungsentwurf eingehen. Wie Sie wissen, sieht er insbesondere folgende Änderungen zur Vermeidung unverhältnismäßiger und vor allem unverhältnismäßig langer Unterbringungen vor:
Erstens. Nach dem Entwurf soll § 63 StGB nur noch bei drohenden Taten angeordnet werden können, „durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird“. Die bloße Gefahr von Vermögensdelikten mit vergleichsweise geringen Schäden soll also nicht mehr ausreichen. Die Zeiten, in denen Schadenswerte von 100 Euro zu Unterbringungen führten, wären damit vorbei. Zugleich wird durch die genannte Formulierung konkretisiert, wann bei der Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter von
erheblichen Straftaten auszugehen ist. Und schließlich soll ausdrücklich normiert werden, dass das Gericht erhöhten Darlegungsanforderungen unterliegt, wenn es aus lediglich nicht erheblichen Anlasstaten dennoch auf die zukünftige Gefahr erheblicher Taten schließen und die Unterbringung daher anordnen will.
Zweitens. Für die Fortdauer der Unterbringung sieht der Entwurf vor, dass eine Fortdauer über sechs Jahre in der Regel nur noch möglich sein soll, wenn Taten drohen, durch die die Opfer körperlich oder seelisch „schwer“ geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren seelischen oder körperlichen Schädigung gebracht werden. Die bloße Gefahr rein wirtschaftlicher Schäden soll also für eine Unterbringung über sechs Jahre hinaus grundsätzlich nicht mehr ausreichen.
Die Fortdauer über zehn Jahre hinaus soll – ebenso wie bei der Sicherungsverwahrung – schließlich nur noch möglich sein bei der Gefahr von Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Und schließlich – drittens – sieht unser Entwurf beim Ausbau der prozessualen Sicherungen Neuerungen für die regelmäßige Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung vor. Zum einen soll klargestellt werden, dass es bei jeder  jährlichen Überprüfung einer gutachterlichen Stellungnahme der Klinik bedarf. Zum anderen soll die Frequenz für die Notwendigkeit eines externen Gutachtens von fünf auf drei Jahre und für Unterbringungen ab sechs Jahren auf zwei Jahre erhöht werden. Zudem darf der externe Gutachter in der Regel nicht das jeweils vorangegangene Gutachten erstellt haben . Damit soll vor allem der Gefahr sich selbst bestätigender Routinebegutachtungen begegnet werden. Schließlich ist die zwingende mündliche Anhörung des Untergebrachten auch bei der Entscheidung über die Erledigung der Unterbringung vorgesehen.
Darüber hinaus sieht der Entwurf zwei weitere Änderungen vor: Zum einen setzen wir mit ihm eine Entscheidung des  Bundesverfassungsgerichts um, wonach in Härtefällen Zeiten des Maßregelvollzugs auch auf verfahrensfremde  Freiheitsstrafe angerechnet werden können müssen. Zum anderen soll klargestellt werden, dass eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, neben der zugleich eine Freiheitsstrafe verhängt werden soll, auch dann in Betracht kommt, wenn die Behandlung voraussichtlich mehr als zwei Jahre in Anspruch nehmen wird.

Insgesamt schlägt der Ihnen vorliegende Entwurf maßvolle Änderungen vor, um den bereits vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Maßregelrecht zu stärken, insbesondere bei der Unterbringung nach § 63 StGB, ohne dabei – und auch dies ist mir wichtig – die berechtigten Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit vor  psychisch gestörten Straftätern zu vernachlässigen.
Dass wir hier die grundsätzlich richtige Balance zwischen Freiheits- und Sicherheitsinteressen gefunden haben, liegt sicher auch daran, dass der Entwurf in einer vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz geleiteten  Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorbereitet und dabei frühzeitig auch der Sachverstand der Gesundheitsseite einbezogen wurde. Die breite und grundsätzliche Unterstützung, die der Entwurf dort und im Bundesrat gefunden hat, erhoffe und wünsche ich mir natürlich auch in diesem Hohen Haus.