Rechtswidrigkeit einer Zwangsbehandlung bei Vorliegen einer verbindlichen Patientenverfügung

Landgericht Berlin
Beschluss vom 16.04.2020 – 88 T 97/18

Gründe:
I. Durch Beschlüsse vom 23.03. und 18.04.2018 bestellte das Amtsgericht im Wege einstweiliger Anordnung und sodann im Wege der Hauptsacheentscheidung für die langjährig an einer chronifizierten Schizophrenie leidende Betroffene eine Betreuerin. Der Aufgabenkreis der zwischenzeitlich wieder aufgehobenen Betreuung umfasste nach letztgenanntem Beschluss u. a. die Aufenthaltsbestimmung zum Zwecke der Heilbehandlung und Gesundheitssorge. Die Betroffene hat am 28.11.2014 eine Patientenverfügung nebst Vorsorgevollmacht errichtet. Hierin hat sie jegliche Untersuchung ihrer Person auf eine psychiatrische Behandlung und deren Behandlung untersagt und zur Durchsetzung dieser Verfügung Bevollmächtigte bestellt.

Mit Beschluss vom 30.04.2018 hatte das Amtsgericht jeweils im Wege einstweiliger Anordnung die Unterbringung der Betroffenen auf einer geschlossenen psychiatrischen Station eines Krankenhauses bis zum 11.06.2018 und die Einwilligung der Betreuerin in die in dem Tenor dieses Beschlusses im Einzelnen aufgeführte ärztlichen Zwangsmaßnahmen bis zum 14.05.2018 genehmigt.

Im Anschluss hat das Amtsgericht zur Frage der Notwendigkeit einer Unterbringung der Betroffenen und der Notwendigkeit einer zwangsweisen psychiatrischen Behandlung ein ärztliches Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie (…) eingeholt, das dieser u. a. aufgrund einer am 05.05.2018 erfolgten persönlichen Untersuchung mit Datum vom 08.05.2018 schriftlich erstattet hat. Das Amtsgericht hat der seinerzeit anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen dieses Gutachten übersandt und diese am 17.05.2018 in der Klinik     Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf vorgenanntes Gutachten (Bd. I Bl. 106 ff. d. A.) und wegen des Verlaufs und Inhalts der Anhörung auf den Aktenvermerk des Amtsgerichts, Bd. I Bl. 157 f. d. A., Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 18.05.2018 hat das Amtsgericht im Wege der Hauptsacheentscheidung die Unterbringung der Betroffenen bis zum 27.07.2018 und die Einwilligung der Betreuerin in ärztliche Zwangsmaßnahmen bis zum 29.06.2018 genehmigt, die unter anderem eine neuroleptische Behandlung umfasst.

Hiergegen wendet sich die Betroffene mit einem am 19.05.2018 eingegangenen Schreiben, dessen erste Seite sich nicht in den Akten befindet. Das Amtsgericht hat dieses als Beschwerde u. a. gegen vorgenannten Beschluss angesehen und dieser nicht abgeholfen. Mit einem am 30.05.2018 bei dem Amtsgericht eingegangenen Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom selben Tage hat die Betroffene erneut gegen die mit vorgenanntem Beschluss erteilten Genehmigungen bei dem Amtsgericht Beschwerde eingelegt.

Wegen des Beschwerdevorbringens wird auf letztgenanntes Schreiben (Bd. I Bl. 207 ff. d. A.) sowie die Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 07. und 08.06.2018 (Bd. I Bl. 231 ff. d. A. und Bd. II Bl. 19 ff. d. A.) verwiesen.

Die bei Eingang dieser Beschwerden für diese zuständig gewesene Zivilkammer 87 hat auf Anregung der Betroffenen eine ärztliche Stellungnahme des Facharztes für Allgemeinmedizin zu einem von diesem am 28.11.2014 erstellten Geschäftsfähigkeitsattest eingeholt, auf welches wegen ihres Inhalts verwiesen wird (Bd. II Bl. 33 f. d. A.). Ferner hat die Zivilkammer 87 zur Frage der Notwendigkeit einer Unterbringung der Betroffenen und der Notwendigkeit der mit dem angefochtenen Beschluss genehmigten ärztlichen Zwangsmaßnahmen Beweis erhoben durch Einholung eines weiteren Gutachtens, das der Sachverständige, Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie (…) mit Datum vom 12.06.2018 schriftlich erstattet hat. Wegen des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf dasselbe Bezug genommen (Bd. II Bl. 53 ff. d. A.).

Ferner hat die Zivilkammer 87 die Betroffene am 27.06.2018 persönlich angehört. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 29.06.2018 wurde die Genehmigung der Einwilligung der Betreuerin in ärztliche Zwangsmaßnahmen bis zum 13.07.2018 verlängert.

Im Hinblick hierauf hat die Betroffene beantragt festzustellen, dass der angefochtene Beschluss sie in ihren Rechten verletzt hat, soweit hiermit die Genehmigung der Einwilligung der Betreuerin in ärztliche Zwangsmaßnahmen erteilt worden ist.

Auf die gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 29.06.2018 eingelegte Beschwerde hat das Amtsgericht diesen Beschluss im Abhilfeverfahren aufgehoben. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 12.07.2019 wurde die Betreuung aufgehoben.Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II. Durch den Beschluss des Amtsgerichts vom 29.06.2018 hat sich die nach §§ 58 ff. FamFG in zulässiger Weise eingelegt gewesene Beschwerde in der Hauptsache erledigt. Auf den gemäß § 62 FamFG zulässigen Antrag der Betroffenen war festzustellen, dass diese durch die mit dem angefochtenen Beschluss erteilte Genehmigung der Einwilligung der ehemaligen Betreuerin in ärztliche Zwangsmaßnahmen in ihren Rechten verletzt worden ist.

Gemäß § 1906 a Abs. 1 Nr. 3 BGB darf ein Betreuer in ärztliche Zwangsmaßnahmen nur einwilligen, wenn diese dem von ihm gemäß § 1901 a BGB zu beachtenden Willen des Betreuten entspricht. Nach Abs. 1 letztgenannter Vorschrift hat der Betreuer, wenn ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt hat, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), zu prüfen, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen, was bedeutet, dass es dem Betreuer untersagt ist, als gesetzlicher Vertreter für den Betroffenen in die von dem Betreuten untersagten ärztlichen Maßnahmen einzuwilligen.

Es war der bestellt gewesenen Betreuerin aufgrund dieser Rechtsgrundsätze verboten, ihre Einwilligung in die genehmigungsgegenständlichen ärztlichen Zwangsmaßnahmen zu erteilen, so dass auch die diesbezügliche gerichtliche Genehmigung nicht hätte erteilt werden dürfen. Denn die Betroffene hatte es in ihrer Patientenverfügung vom 28.11.2014 ausdrücklich untersagt, sie auf eine psychische Erkrankung hin zu untersuchen und bei Vorliegen einer solchen Erkrankung zu behandeln. Diese Verfügung traf auf die bei Erteilung dieser Genehmigung bestehende Lebenslage der Betroffenen zu, denn wie der Facharzt für Allgemeinmedizin (…) in seiner im Beschwerdeverfahren eingeholten Stellungnahme ausgeführt hat, hatte die Betroffene zu diesem Zeitpunkt bereits wiederholte Erfahrungen mit klinischen Behandlungen ihrer psychischen Erkrankung. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Betroffene ihre Patientenverfügung insgesamt oder hinsichtlich der genehmigungsgegenständlichen ärztlichen Zwangsmaßnahmen widerrufen hätte. Im Gegenteil hat die Betroffene, wie sich bereits ihrem »Widerspruch« vom 27.03.2018 gegen die mit Beschluss des Amtsgerichts vom 23.03.2018 erteilte diesbezügliche Genehmigung entnehmen ließ, ausdrücklich gerügt, dass sich die behandelnden Ärzte nicht an ihre Patientenverfügung hielten, sowie durch ihr gesamtes Verhalten in dem Verfahren zu erkennen gegeben, dass die in ihrer Patientenverfügung getroffenen Festlegungen weiterhin Geltung haben sollen. Schließlich ist auch davon auszugehen, dass sich die Betroffene bei Errichtung der Patientenverfügung in einem einwilligungsfähigen Zustand befand. Dies ergibt sich ebenfalls aus der ausführlichen, nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Stellungnahme des (…), der nach seinen Angaben auch Erfahrungen in der medikamentösen Behandlung psychisch Kranker hat. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Betroffene entgegen dessen Einschätzung am Tage der Errichtung der Patientenverfügung doch in einem ihre Einwilligungsfähigkeit ausschließenden Zustand befunden haben könnte, sind nicht ersichtlich.

Die ehemalige Betreuerin war daher ebenso wie die behandelnden Ärzte an das mit der Patientenverfügung der Betroffenen erteilte Verbot jedweder psychiatrischen Untersuchung und Behandlung gebunden, sodass die dieses Verbot missachtende Einwilligung der ehemaligen Betreuerin nicht hätte genehmigt werden dürfen.

Es war daher festzustellen, dass die mit dem angefochtenen Beschluss erteilte Genehmigung der Einwilligung der ehemaligen Betreuerin in ärztliche Zwangsmaßnahmen die Betroffene in ihren Rechten verletzt hat. Im Hinblick auf das Vorgesagte kann dahin gestellt bleiben, ob die weiteren in § 1908 a Abs. 1 genannten Voraussetzungen für diese Genehmigung vorlagen.

Von einer Kostenentscheidung gemäß § 337 Abs. 1 FamFG war im Hinblick auf die erfolgte Bewilligung von Verfahrenskosten für das Beschwerdeverfahren abzusehen.

Die nach § 70 Abs. 3 FamFG nicht zulassungsfreie Rechtsbeschwerde war wegen Nichtvorliegens der hierfür nach Abs. 2 dieser Vorschrift bestehenden Voraussetzungen nicht zuzulassen.

Auch in der Recht&Psychiatrie 4/2020, Seite 246 veröffentlicht.