Ich werde zwangsbehandelt

Zwei Situationen von Zwangsbehandlung sind zu unterscheiden:
A) Zwangsbehandlung, (also eine medizinische Behandlung gegen den Willen – ein vernehmliches “Nein, das will ich nicht” genügt) einer/s über 18-Jährigen ohne eine richterlich legalisierte Zwangseinweisung in einer geschlossenen Psychiatrie.
Merke: Jede solche Zwangsbehandlung ist von vornherein ein schweres Verbrechen (gefährliche Körperverletzung, Nötigung, Folter) und selbstverständlich illegal. Die Täter sind Kriminelle. Um sie zu einer Schmerzensgeldzahlung zu zwingen, muss man in aller Regel einen Zivilprozess führen.

Jede/r der/die so ein Verbrechen bezeugen kann, sollte ein Gedächtnisprotokoll anfertigen, um dann bei einer Strafanzeige (z.B. bei irgendeiner Polizeiwache) dieses Gedächtnisprotokoll eidesstattlich versichert der Staatsanwaltschaft als Beweis des Tathergangs zukommen lassen zu können. Das große Problem bei der Strafverfolgung dieser Verbrechen sind die Beweise, da die Opfer bzw. die Zeugen, ohne Geständnisse der TäterInnen, bzw. MittäterInnen kaum beweisen können, dass ein vernehmliches “Nein, das will ich nicht” zu Gehör gebracht wurde. Deshalb ist es ratsam, dass Sie als Betroffene diese Ablehnung auf zwei Blatt Papier schreiben, beide dem Arzt aushändigen und eines mit seiner Unterschrift als Empfangsbekenntnis zurückverlangen.

Selbstverständlich genügt auch ein Zeuge für den Beweis der Ablehnung irgendeiner Behandlung, die zur Zwangsbehandlung wird, wenn sie trotzdem durchgeführt wird. Dieser Zeuge sollte möglichst sofort danach mit Datum und Uhrzeit Ihnen schriftlich bestätigen, dass Sie ein vernehmliches “Nein, das will ich nicht” dem Arzt zu Gehör gebracht haben. Selbst wenn man nicht dem Arzt, sondern nur dem sonstigen medizinischen Personal die Ablehnung mitgeteilt hat, ist dies erheblich, muss aber genauso bewiesen werden können – also entweder durch eine Unterschrift als Empfangsbekenntnis oder durch eine unterschriebene Zeugenaussage. Diese Schriftstücke besser kurzfristig außerhalb der Psychiatrie aufbewahren, so dass sie dort nicht mehr entwendet werden können. Wer eine Vorsorgevollmacht hat, sollte außerdem sofort bei Ankündigung einer unerwünschten Behandlung den Vorsorgebevollmächtigten anrufen, damit dieser zusätzlich jede Behandlung gegen den Willen untersagt und anweist, dass der Arzt ausschließlich mit ausdrücklichem Einverständnis von Ihnen irgendeine Behandlung vornehmen kann.

B) Zwangsbehandlung mit einer richterlich legalisierten Zwangseinweisung in eine geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Anstalt.
Merke: Sie müssen gerichterlich untergebracht worden sein, um eventuell mit einem Anschein von Legalität zwangsbehandelt werden zu können. (siehe auch: Ich bin zwangseingewiesen)

Eine solche Zwangsbehandlung halten wir zwar ebenfalls für ein schweres Verbrechen, aber leider sind viele Versuche einer Strafverfolgung völlig aussichtslos geblieben. Dass Zwangsbehandlung ein schweres Verbrechen ist, darüber besteht bei menschenrechtsbewussten MitbürgerInnen kein Zweifel. Jede/r der/die eine solche Meinung vertritt, kann sich auf den Text von Prof. Wolf-Dieter Narr berufen, der in der führenden Publikation der Juristen in dem entsprechenden Rechtsgebiet in der BRD, der FamRZ, veröffentlicht wurde und von der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener ins Internet gestellt wurde: www.die-bpe.de/kritik. (Insbesondere ab hier lesen).
Die psychiatrische Zwangsbehandlung ist in der BRD also juristisch völlig umstritten.

Leider wollen aber weder die Staatanwaltschaft noch die Richter, die in einem Strafprozess diese Verbrechen sanktionieren müssten, bisher ein Unrecht erkennen, wenn das Grund- und Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit von einem Psychiater durch eine Zwangsbehandlung verletzt wird und vorher eine Zwangseinweisung richterlich abgenickt wurde.

Trotzdem empfehlen wir unter bestimmten Bedingungen [ im Folgenden Ba) – Be)], alleine, oder Erfolg versprechender mit einem Anwalt, rechtliche Mittel zu nutzen, um in einem ersten Schritt die Unrechtmäßigkeit der Körperverletzung gerichtlich feststellen zu lassen. Das geht einerseits – leider kaum Erfolg versprechend – durch eine Strafanzeige, die ohne Einschaltung eines Anwalts keine Unkosten macht (ein Muster ist hier verlinkt). Erfolgversprechender ist die Feststellung der Unrechtmäßigkeit durch sofortige Beschwerden durch alle Instanzen bis maximal vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und sich dafür von der ersten Anhörung an von einem Fachanwalt vertreten zu lassen.
Erst nach einem Erfolg dieser Beschwerden sollte man danach in einem zweiten Schritt in einem Zivilprozess Schmerzensgeldforderungen versuchen durchzusetzen.

Mit abnehmender Aussicht auf Erfolg kann bzw. sollte man sich in folgenden Fällen mit rechtlichen Mitteln zur Wehr setzen:

Ba) wenn man durch eine Patientenverfügung nach diesem Muster PatVerfü geschützt ist und entweder der Bevollmächtigte einer geplanten Zwangsbehandlung beweiskräftig – sprich schriftlich- widersprochen hat oder wenn das Vormundschaftsgericht ohne Befragung des Bevollmächtigten eine Zwangseinweisung nach PsychKG/Unterbringungsgesetz legalisiert hat, obwohl es über die Existenz einer PatVerfü informiert wurde.

Bb) wenn man zwar durch eine Betreuung entmündigt wurde und der Betreuer die Zwangseinweisung beantragt hat, aber in dem richterlichen Beschluss kein Rezept ausgestellt wurde und somit auch nach der Rechtsauffassung des BGH eine Zwangsbehandlung illegal ist.

Und/oder wenn das die Zwangsbehandlung genehmigende Gericht kein Gutachten eines externen Gutachters eingeholt hat, ein Gutachten also nur von einem in der behandelnden Institution angestellten Arzt fabriziert wurde, ist mit Verweis auf den Beschluß des OLG Celle 17 W 72 + 73 + 74/07 die Zwangsbehandlung illegal.

Bc) wenn vor der richterlichen Legalisierung einer Zwangseinweisung schon zwangsbehandelt wurde.

Bd)wenn man zwar durch eine Betreuung entmündigt wurde, die BetreuerIn die Zwangseinweisung beantragt hat, ein externer Psychiater auf Anordnung des Gerichts ge”gut”achtet hat und in dem richterlichen Beschluss der Zwangseinweisung sogar ein Rezept zur Zwangsbehandlung ausgestellt wurde, man aber dem eingeschalteten Anwalt zutraut, auch eine Verfassungsbeschwerde zum Erfolg zu führen. Es ist leider zu erwarten, dass man auch bei einem Oberlandesgericht noch keinen Erfolg hat. Die unteren Gerichte werden sich auf den BGH-Beschluss vom 1.2.2006 mit dem Aktenzeichen XII ZB 236/05 stützen, obwohl der BGH nicht verfassungskonform geurteilt hat (siehe hier).

Be) wenn es eine schriftliche Patientenverfügung aus einer Zeit gibt, von der nicht mehr behauptet werden kann, man wäre geschäftsunfähig gewesen und diese Patientenverfügung den Ärzten möglichst vor der Zwangsbehandlung zur Kenntnis gebracht wurde.
Seit Sommer 2009 ist eine Patientenverfügung ein sehr starkes Instrument, weil der Gesetzgeber durch ein explizites Gesetz Patientenverfügungen ohne Reichweitenbegrenzung beschlossen hat, dass man seitdem in allen Krankheitsphasen und bei allen Krankheiten – selbst wenn sie gar nicht existieren sollten – unerwünschte medizinische Behandlung und/oder Diagnose  rechtswirksam untersagen kann. (Vor dem Sommer 2009 waren Patientenverfügungen vom Bundesgerichtshof mit einem Beschluss vom 17. März 2003, Aktenzeichen XII ZB 2/03 nur unter der Bedingung anerkannt worden, dass die Krankheit der verfügenden PatientIn einen irreversibel tödlichen Verlauf angenommen hat, also die Ärzte außer Schmerzstillen und künstlichen Ernähren usw. sowieso nichts mehr machen konnten.)

(Diese Empfehlungen wurden zusammen mit unseren VertrauensanwältInnen entwickelt)