Wolf-Dieter Narr bei den NRW Grünen

W-D_NarrWolf-Dieter Narr:

Rechtliche Bewertung der Psychisch Krankengesetze im Lichte der Behindertenrechtskonvention
Kurzreferat am 7. März 2014 im Rahmen einer thematisch einschlägigen Veranstaltung der Fraktion Die Grünen im Landtag zu Düsseldorf

  1. In Sachen „Psychisch Kranke“ sind keine geltenden Gesetze gegeben. Angesichts einschlägiger Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 2011 und 2013, wie des BGH 2012 und anderer triftiger Gesetze und  Entscheidungen sind sämtliche PsychKGe der Bundesländer, wie sie bis in jüngste Zeit galten, einschließlich der im letzten Jahr neu verabschiedeten PsychKGe in Baden-Württemberg und Hamburg, nur als weitgehend obsolete gesetzgeberische Hypothesen zu werten. Durchgehend trifft diese Feststellung auf alle Regeln zu, die psychiatrisch legitimierten Zwang in offener oder verdeckter Form unter der Tarnkappen „ultima ratio“ oder „Gefährdungen der Allgemeinheit“ erlauben, insbesondere auch den 2013 neu verabschiedeten § 1906 BGB. Jedes (neue) Psychisch-Krankengesetz ist zusätzlich unter mehrfachem Vorbehalt veränderter nationaler und völkerrechtlicher Rechtslage zu wägen. Dazu gehört insbesondere das im BGB seit 2009 verankerte Recht auf Patientenverfügung, wie die 2009 als Bundesgesetz in Kraft getretene UN-Behindertenrechtskonvention von 2006 (BRK). Insofern sind keine aktuell geltenden „Psychisch Krankengesetze“ „im Lichte der Behindertenrechtskonvention“ zu beurteilen. Vielmehr stellt sich fundamental die Frage bis hin zum Begriffsgebrauch, ob überhaupt Umgangsformen mit  P s y c h i s c h    K r a n k e n  gesetzlich neu zu normieren sind. Diese essentiell – existentielle Frage gilt insbesondere dort, wo seinerzeit geltende PsychKGe in Sachen ausgeübten Zwangsvorkehrungen gegen als „Psychisch Krank“ erkannte Personen in Substanz und in Form den Grund- und Menschenrechten widersprachen/widersprechen. Also kann es aktuell und zukünftig nur grundsätzlich revidierte „Psychische Krankengesetze“ ohne jeden sondergesetzlichen Charakter von Zwangsmaßnahmen geben. Wohlgemerkt einschließlich des Begriffsgebrauchs. Der Name diente als missbräuchliches Symptom.
  2. Zugrunde liegende Annahmen der Behindertenrechtskonvention, die je und je unverzerrt und verbindlich zu konkretisieren sind. Menschen sind individuell und kollektiv verschieden. Darum zählt jeder Mensch gleichrangig als Einzelner („individuell“). Sie nehmen jedoch als Menschen denselben Status ein. Daraus folgt in der Behindertenrechtskonvention: So sehr Behinderte verschiedener im weitesten Sinn sozialer Bedingungen bedürfen, um ihren menschlichen Bedürfnissen und Interessen genügen zu können, so wenig sind verschieden gewertete genetische, artifizielle und/oder soziale Unterschiede von Belang. Die Annahme der Diversität ist der Annahme der eigensinnigen Gleichberechtigung innig verbunden. Daraus folgt ihr nie und nimmer einzuschränkender Status als gleichberechtigt selbst bestimmte Rechtspersonen.
  3. Daraus ergibt sich als selbstverständlich: Psychisch Behinderte dürfen zu keinem Verhalten gezwungen werden. Ihre wie immer als Erwachsene geäußerte Selbstbestimmung bildet die Prämisse, die conditio sine qua non, aller ihrem Wohl gewidmeten Hilfs- und Heilakte. Damit sublimere Formen des Zwangs qua bis an Folter grenzendem alternativlosem Überredungsdruck unterbleiben, sind allemal Psychisch Behinderten vertraute Personen zu beteiligen. Diese Feststellung ergibt sich analog aus dem Recht aller Menschen auf physisch-psychische und zerebrale Integrität. Ohne sprachliche Äußerungen im mindesten zu unterschätzen, bedeutete es eine Reduktion der körperlich-geistig-psychischen Integrität und ihrer sozialen Einbettung, verengte man Menschen als zoa logon echonta, als primär kognitiv bestimmte, Vernunft habende Wesen.
  4. Unbeschadet des bestenfalls metaphorisch sumpfig zu qualifizierenden Erkenntnisstands psychiatrischer Wissenschaft und ihrer mit vielen Willkür- und Plazeboelementen durchsetzten Verfügung über Manipulationsmittel eher als solchen des  Heilen gilt gemäß der Behindertenrechtskonvention und ihren konstitutiven Leitnormen, den Menschenrechten ohne Wenn und Aber: Jede Zwangshandlung gegen Psychisch Behinderte Menschen ist identisch mit Zwangshandlungen an Bürgerinnen und Bürgern, die sich, mit Thomas Mann gesprochen, der „Wonnen der Gewöhnlichkeit“ erfreuen. Kurz: allen „Normalen“.  In diesem Sinne unterstreiche ich eine Äußerung des UN-Sonderberichterstatters Juan E. Méndez vom 1. Februar 2013. Er sprach von einem „absoluten Verbot jeglicher Zwangsbehandlungen“ im Zusammenhang psychiatrischer Versorgung. In diesem Sinne korrigierte er zu Recht den dem Scheine nach dehnbaren Art. 14 BRK.
  5. Zwei zusätzliche Notate:
    a) Unterstützende Argumente und Belege des eher thesenhaft Behaupteten können die Fülle jederzeit bei Bedarf nachgetragen werden.b) Nicht einmal streifend behandelt wurde die ausgeuferte und bedrohlich weiter ausufernde Bedeutung der Psychiatrie im Rahmen des dadurch jeglichen rechtssicheren Rahmens beraubten (Schuld-)Strafrechts. Vergleiche § 63 und folgende StGB. Menschenrechte und Behindertenrechtskonvention verlangen erneut ohne Wenn und Aber, dass zum einen Strafrecht, Strafe und Strafprozess unbeschadet anderer Einwände von allen psychiatrischen Einsichten und Argumenten geradezu chemisch rein befreit werden. Damit Recht Recht bleiben könne. Zum anderen geht es nicht an, rechtlich so genau wie irgend möglich rechtsicher vertäute und also inkriminierte Sachverhalte, psychiatrisch mit wissenschaftlichem Anschein zu entgrenzen. In einem solchen Kuddelmuddel verlören staatliches Gewaltmonopol und die in ihm ankernde Strafe samt ihrem Vollzug wie Recht und Rechtsanwendung zusammen mit einer wissenschaftlich aufgemüpften Psychiatrie jegliche Legitimität. Mit ihr zerbröckelte „rechtstaatlich“ ausgewiesene Legalität.
  6. Summa summarum: Die UN-Behindertenrechtskonvention, wie andere UN-Konventionen, vor allem die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte am 10.12.1948 in San Francisco verlören ihren Sinn als Urteilsbasis und Urteilsbezug aller Menschen, gebrauchte man sie wie einen Fiaker, in dem man, je nach Situation ein- und aussteigen kann. Sie wahren ihren Sinn nur im Sinne normativ strikter Verbindlichkeit. Die Vermittlung ihrer normativen Qualität mag in einzelnen Fällen immer wieder schwierig sein. Aus solchen Schwierigkeiten befreit jedoch kein Weg ins Freie, der das Zwangsverbot entgegen allen Formen der Behinderten lockerte. Erst, wenn der jahrhundertealten Zwangsgewohnheit einschließlich der neuerdings verlockenden Täuschungen der Hirnforschung und sog. Hirnneurologier radikal hier und jetzt ein Ende bereitet wird – sie hat sich in vielen Teilen der Psychiatrie geradezu habitualisiert -, werden sich Mittel und Wege finden, wie dies heute schon teilweise der Fall ist: primär präventiv, umgangsvielfältig und nur in wenigen Fällen, human begründet, aufwändig in dauerndem sozialen Lernen zu verfahren. Dann werden psychiatrische Zwangsmittel anmuten wie mittelalterliche Herrschafts- und Folterinstrumente von Schülerinnen und Schülern gruselig bestaunt.